Nachhaltigkeit, Mobilität und Wohlstand

11.09.2021

Warum eine ehrliche und nachhaltige Politik auf Technologieoffenheit statt Ideologie setzen muss

Hintergrund-Information zum Antrag der CDU im AUISO CO2-reduzierte und CO2-neutrale Kraftstoffe für städtische Fahrzeuge kurzfristig einzuführen!

Das 1,5-Grad-Ziel

Der wissenschaftliche und der gesellschaftliche Konsens sind eindeutig: Wir müssen parteiübergreifend und unabdingbar das Pariser Ziel, die Temperaturerhöhung bis 2050 auf maximal 1,5 Grad Celsius zu beschränken, schnellstmöglich umsetzen.

Naturwissenschaftlich besteht ein direkter funktionaler Zusammenhang des Temperaturanstiegs mit dem CO2-Gehalt in der Luft: Umgerechnet bedeutet dies, dass wir vom aktuellen Niveau (ca. 420 ppm) bis 2050 auf höchstens ca. 480 ppm kommen dürfen. Sprich, wir haben noch ein „CO2-Restbudget“ für die nächsten knapp 30 Jahre von 60 ppm. Danach läuft das Glas sprichwörtlich über…

Ein weiterer wichtiger Aspekt: In diesem Zeitraum wird keine relevante Menge CO2, welches wir jetzt emittieren, wieder abgebaut. Das heißt wiederum, dass wir bei allen Maßnahmen sämtliche CO2-Fußabdrücke berücksichtigen müssen. Die Ansichten, dass sich Investitionen für CO2-Einsparungen in Zukunft auszahlen bzw. als solche einen positiven Beitrag leisten, hilft uns jetzt und in den nächsten 29 Jahren zunächst nicht! Diese „CO2-Investitionen“ belasten das Restbudget. Sprich, wir müssen sämtliche mit einer Mobilitätsart verbundenen CO2-Fußabdrücke kumuliert berechnen.

CO2 Budgets vollständig berechnen

Für uns als Stadt bedeutet dies, beim städtischen Verkehr und für unsere Fahrzeugflotte folgende Positionen in eine CO2-Bilanz aufzunehmen, wenn wir Klimafreundlichkeit ernst nehmen wollen:

  • Herstellung (Neufahrzeuge möglichst vermeiden)
  • Betrieb (Anteil CO2-neutraler Energie)
  • Recycling (CO2-neutrale Verarbeitung und Kreislaufwirtschaft)
  • Infrastruktur (CO2-Fußabdrücke von neu zu errichtenden Energieverteilungsstrukturen)

Unter Ingenieuren nennt sich diese Bilanzierung des Lebenszyklus Analyse „Cradle to Cradle“ (von der Wiege bis zur Wiege). Sie ist komplexer, ohne Frage, aber umfassender, ganzheitlich und nicht zuletzt wissenschaftlich belastbar. Bilanzierungen wie „Tank to Wheel” (von der Tank-/Ladesäule bis zum Rad) oder „Well to Wheel“ (vom Bohrloch bis zum Rad) bleiben unvollständig, lassen ganze Sektoren aus und führen zu verfälschten Konklusionen. Mit solchen „Berechnungen“ betrügen und schädigen wir uns selbst.

Das Beispiel Wasserstoff ist eine attraktive Technologie für Antriebssysteme, dessen Potential noch nicht komplett erschlossen ist. Bei der Bilanzierung der Nachhaltigkeit müssen dennoch zwingend die CO2-Mengen berücksichtigt werden, die bei der Errichtung der Infrastruktur in den nächsten Jahren anfallen. Ebenso muss einfließen, wie C02-neutral der Strom, der für die Gewinnung des Wasserstoffs genutzt wird, wirklich ist.

Dies ist auch ein Problem bei vielen Interpretationen des „Fit for 55“ Proposals der EU. Ganz sicher werden die Pariser Klimaziele nicht erfüllt werden können, wenn Belastung des Restbudgets zum Beispiel durch den Austausch der Bestandsflotte mit entsprechenden Fußabdrücken komplett unbeachtet bliebe.

Defossilisierung als effizienter Hebel

Klar ist: Die Reduzierung und letztlich der Bann fossiler Brenn- und Kraftstoffe ist ein enorm wichtiger Hebel und Klimafaktor. Wir müssen darauf hinwirken, den Ausstoß von Kohlendioxid aus der Verbrennung fossiler Rohstoffe zu beenden.

Tübingen berechnet Fußabdruck des städtischen Fuhrparks

Städte wie Tübingen haben den CO2-Fussabdruck für die städtische Verkehrsarten berechnet, um eine solide Basis für ihre Mobilitätsstrategie zu haben. Dabei kommen – noch ohne die Infrastrukturkosten bzw. -emissionen – folgende Werte in CO2 pro Personen pro Kilometer Bewegung:
• neue Bahnlinie 78 g CO2/Personen-km
• E-Auto 152 g CO2/Personen-km
• Verbrenner 194 g CO2/Personen-km mit fossilem Kraftstoff
• Verbrenner mit R33 Diesel 160 g CO2/Personen-km
• Verbrenner mit Care Diesel oder Benzin 126 g CO2/Personen-km
• Verbrenner mit eFuels unter 15 g CO2/Personen-km
Solche physikalischen Berechnungen helfen, um den unmittelbaren Effekt einschätzen zu können. Für eine ehrliche und umfassende Berechnung gehören dann Emissionen für Neubeschaffung oder Infrastrukturaufbau hinzuaddiert.

Damit ist aber auch klar: Nicht der Verbrennermotor ist das Problem, sondern der Tankinhalt. Und wenn wir den kompletten Lebenszyklus der Antriebstechnologien bilanzieren, dann müssen wir die Lösungspotenziale der Verbrennertechnologie für unser Klimaziel nutzen! Nur ein solcher Blick, ohne Ideologie und Vorbehalte, macht eine ehrliche Einschätzung und eine nachhaltige Empfehlung möglich.

Orientieren an den UN-Nachhaltigkeitskriterien

Wenn wir den nächsten Schritt in einer Nachhaltigkeitsstrategie gehen, müssen wir die Auswirkungen auf die weiteren 17 Nachhaltigkeitsziele der UN bemessen. Zu diesen Zielen gehören die Sicherung von Ernährung, die Bekämpfung von Armut, ein gesundes Leben, Bildung für alle – und Wohlstand.

Kurzum: Diese wissenschaftlich gesicherten physikalischen Fakten der Klimarelevanz haben entsprechende ökonomische Auswirkungen, deren Effekt wir in unsere Bewertung der Nachhaltigkeit einfließen lassen. Hier kommen dann Kostenaspekte wie die Umsetzungseffizienz einer Energie oder der Wirkungsgrad zum Tragen. In Chile ist Strom mit Windenergie preiswert; in Nordafrika mit Sonnenenergie. E-Fuels können zukünftig deutlich unter 1 Euro/l importiert werde. Ein weiterer Bewertungsfaktor ist die Funktionalität, wofür und wie welche Energie als Antrieb benötigt wird. Das können Reichweite, Verfügbarkeit, Gewicht oder Energieverfügbarkeit sein. Auch hier gilt es, diese Faktoren und Positionen offen und ehrlich zu benennen und zu berechnen.

Fazit: CO2-reduzierte oder Klima-neutrale Bio- und Synthesekraftstoffe erlauben nachweislich eine sehr schnelle und effektive CO2-Reduzierung. Die Infrastruktur ist vorhanden. Eine pauschale Antwort auf die Frage, welche Antriebsart die nachhaltigste ist, gibt es hingegen noch nicht. Hier muss Technologieoffenheit die Maxime sein. Nur dann lässt sich diese Frage zu unser aller Wohl beantworten.
Umso irritierender ist, warum die Fraktion aus SPD, Grünen und FDP sich dieser Möglichkeit verweigern. Rational und wissenschaftlich ist es nicht nachvollziehbar, von Klima-Verantwortung ganz zu schweigen.